2 FMEA, Werkzeug der Risikobewertung

2.1 Die System-FMEA

Die System-FMEA (englisch: "Failure Modes & Effects Analysis", deutsch: "Fehlermöglichkeits- und -einflussanalyse") ist ebenso wie die klassische Konstruktions- oder Prozess-FMEA eine systematische, halbquanititative Risikoanalysemethode. Im Unterschied zur FMEA in ihrer hergebrachten Form ist die System-FMEA eine top-down-Methode. Die möglichen Fehler werden auf der Ebene des Produktes betrachtet und ihre möglichen Auswirkungen werden bewertet.

Dies führt gegenüber der herkömmlichen Konstruktions-FMEA zu den folgenden Vorteilen:

Der Ansatz der System-FMEA verbindet Produkt und Prozess. Letzte Ursachen für Fehler des Produktes können fehlerhafte Merkmale von Einzelteilen sein. Eine Gruppe von möglichen Ursachen hierfür liegt in der mangelnden Herstellbarkeit des Produktes unter den vorgesehenen Bedingungen. Diese möglichen Fehler des Produktes sind Folgen von Fehlern im Herstellungsprozess und werden in einer System-FMEA Prozeß detailliert untersucht. Die System-FMEA erlaubt es, den Fokus der Analyse auf ein beliebiges Element in der Systemhierarchie des Produktes oder Prozesses zu legen und so den Detaillierungsgrad zu erreichen, der den vorgefundenen Risiken angemessen ist.

System-FMEA wird im Team durchgeführt. Die systematische und dokumentierte Risikoanalyse wird in der Anfangsphase häufig als erheblicher Aufwand empfunden. Dem stehen ungeklärte Risiken gegenüber, wenn gar keine Risikoanalyse durchgeführt wird oder geringe Lerneffekte für die Organisation, wenn sie vereinzelt und undokumentiert durchgeführt wird.

2.2 Strukturanalyse

Das System (Produkt) besteht aus einzelnen Systemelementen (SE), die zur Beschreibung und Gliederung des Konzeptes dienen. Die Systemstruktur ordnet vom Produkt als oberster Ebene ausgehend die einzelnen SE auf unterschiedlichen hierarchischen Ebenen an. Die Strukturanalyse ist eine grafische Darstellung der Strukturstückliste als Baum. Sofern das Produkt Schnittstellen zwischen Systemelementen enthält, die für seine Funktion wichtig sind, werden diese in der Strukturanalyse dargestellt.

Die System-FMEA beginnt mit dem Produkt als übergeordnetem Systemelement und richtet dann bei Bedarf den Fokus auf Systemelemente auf tieferen Ebenen. Die Strukturanalyse wird zur Vorbereitung der System-FMEA Produkt durch die Konstruktion/Entwicklung erstellt und den Teammitgliedern rechtzeitig vor der ersten Teamsitzung zur Verfügung gestellt. Im Falle der System-FMEA Prozeß ist der betrachtete Gesamtprozeß das System. Teilprozesse und Prozessschritte stellen die untergeordneten Systemelemente dar.

2.3 Fehleranalyse

Mit der Fehleranalyse beginnt bei der FMEA die eigentliche Arbeit im Team. Das Team geht die Funktionsanalyse durch und benennt mögliche Abweichungen von den spezifizierten Funktionen. Dies geschieht zunächst nach Art eines Brainstormings. Eine Bewertung der möglichen Fehler erfolgt in späteren Schritten. Aus der Funktionsanalyse sind die Funktionsbeiträge der untergeordneten Systemelemente bekannt. Abweichungen von diesen Funktionsbeiträgen sind Ursachen für die Fehler auf der übergeordneten Ebene. Diese Zusammenhänge werden in einer Fehlerstruktur dargestellt. Formen der Darstellung sind wiederum der Baum oder die Liste.

2.4 Risikobewertung

Nachdem in den vorhergehenden Schritten in Bezug auf das FMEA-Formblatt die Kopfdaten festgelegt wurden, beginnt in diesem Schritt das ausfüllen der Spalten. In die Spalte "Möglicher Fehler" werden die in der Fehleranalyse ermittelten möglichen Fehlfunktionen mit Bezug auf das betrachtete Systemelement (mit dem Produkt bzw. dem Gesamtprozess beginnen) und auf die betrachtete Funktion eingetragen. Die Auswirkung der Fehlfunktion wird beschrieben. Das ist das, was wahrgenommen und wie darauf reagiert wird. Die möglichen Fehlerfolgen werden in die entsprechende Spalte eingetragen und mit Hilfe einer Bewertungstabelle auf einer Skala von 1 - 10 bewertet. Die höchste Bewertung wird in die Spalte B (Bedeutung des Fehlers) eingetragen.

Fehlerursachen sind die Defizite in den Funktionsbeiträgen der untergeordneten Systemelemente, die in der Fehleranalyse ermittelt wurden. Diese werden in die Spalte "Mögliche Fehlerursachen" eingetragen. Der verantwortliche Konstrukteur/Entwickler erläutert die Vermeidungsmaßnahmen, die er zum Zeitpunkt der FMEA durchgeführt hat, um das Auftreten der Fehlerursache zu verhindern.

Das Team zieht die Erfahrungen mit ähnlichen Konstruktionen in Betracht, berücksichtigt die positiven oder auch negativen Aspekte des vorliegenden Konzepts und bewertet mit Hilfe einer Bewertungstabelle die Auftretenswahrscheinlichkeit der Fehlerursache vor dem Hintergrund der durchgeführten Vermeidungsmaßnahmen. Die Bewertung auf einer Skala von 1 - 10 wird in die Spalte A (Auftretenswahrscheinlichkeit) eingetragen.

Wenn die Fehlerursache tatsächlich auftritt, muss sie nicht zwangsläufig zu Auswirkungen führen. Es besteht noch die Chance, die Fehlerursache oder den Fehler vor Einsatz des Produktes zu erkennen und zu beseitigen. Ebenfalls zu den Entdeckungsmaßnahmen zählen die Vorkehrungen, die getroffen wurden, damit der Fehler nicht die schlimmsten Folgen nach sich zieht. Der Einbau einer Kontrolleuchte für den Öldruck in ein Fahrzeug oder einer automatischen Abschaltung bei Störung in eine Maschine sind daher Entdeckungsmaßnahmen. Die Maßnahmen zur Entdeckung und Beseitigung von Fehlern sind generell um so wirksamer und wirtschaftlicher je mehr sie auf eine frühzeitige Identifizierung und Eliminierung von Fehlerursachen ausgerichtet sind. Die durchgeführten Entdeckungsmaßnahmen werden in die entsprechende Spalte eingetragen und die Entdeckungswahrscheinlichkeit E wird auf einer Skala von 1 (hoch) bis 10 (praktisch unmöglich) bewertet. Zwischenwerte können aus der Bewertungstabelle entnommen werden.

Die Risikoprioritätszahl RPZ = B*A*E ist ein Maß für das mit einer möglichen Fehlerursache verknüpfte Risiko. Die RPZ liegt zwischen 1 (1*1*1) und 1000 (10*10*10). Das Risiko steigt somit kubisch an:

RPZ Anstieg

Eine grafische Einschätzung des Risikos auf einer logarithmischen Skala würde demnach so aussehen:

Risiko

Alle Fehler mit einer RPZ über 125 (5*5*5) sind als mittelschwer einzustufen und erfordern in jedem Fall eine Gegenmaßnahme!

2.5 Optimierung

Bei hohen Bewertungszahlen B, A und E oder allgemein hohen RPZ sind Optimierungen erforderlich.

Optimierungen erfolgen nach folgenden Prioritäten:

  1. Konzeptänderung, um die Fehlerursache auszuschließen bzw. die Bedeutung zu reduzieren
  2. Erhöhung der Konzeptzuverlässigkeit, um das Auftreten der Fehlerursache zu minimieren
  3. Wirksamere Entdeckung der Fehlerursachen (zusätzliches Prüfen möglichst vermeiden).

Zur Minimierung des Risikos werden die zusätzlichen Maßnahmen beschrieben und als geplante Maßnahmen in die Spalten "Vermeidungsmaßnahmen" und/oder Entdeckungsmaßnahmen eingetragen. Die durch die Maßnahmen erreichbare Verbesserung wird, deutlich als Plan gekennzeichnet, in die Spalten A und E eingetragen. Wenn mehrere Maßnahmen zur Auswahl stehen, kann so die geeignetste Maßnahme ausgewählt werden.

Bei einschneidenden Konzeptänderungen werden für die betroffenen Teilbereiche alle Schritte der System-FMEA von der Systemanalyse an neu durchlaufen. Bei Zuverlässigkeitserhöhungen durch Vermeidungsmaßnahmen oder wirksamere Entdeckung wird die Bewertung wiederholt. Die tatsächlich durchgeführten Maßnahmen werden mit dem Datum für den neuen Stand in das Formblatt eingetragen.

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Dipl.-Ing. Jörg Bolle und Sandra S., Mai 2006